Tanz mit mir ins Elysium

Heute geht es um ein Spiel, das vermutlich alleine einen ganzen Blog füllen könnte: Disco Elysium. Als Vorschlag von einem meiner Zuschauer eingereicht, wusste ich praktisch nichts darüber, bevor wir es angefangen haben. Ich ging in der Erwartung hinein, eine interessante Story aus einer isometrischen Perspektive heraus zu erleben. Ob meine Erwartungen erfüllt wurden, lest ihr hier.

Zuallererst das wichtigste: dieser Artikel behandelt nur das aller wichtigste, das mir in diesem Spiel aufgefallen ist und mich bewegt hat. Das Spiel und der Interpretationsspielraum über praktisch jeden Grashalm ist riesig. Die Hauptstory an sich ist recht schnell erklärt und auch nicht allzu lang; die Geschichte drumherum, die Charaktere, denen man begegnet und die verschiedenen Lager, um die es geht, sind allerdings sehr detailliert ausgearbeitet. Nimmt man noch die Nebenquests hinzu, könnte man hunderte Stunden in dieses Spiel stecken. Ein weiterer Indikator dafür ist der Trailer: ich habe ihn mir eben noch einmal angeschaut und nicht eine Szene genau so wiedererkannt, wie ich sie in meinem Durchgang hatte.

Doch worum geht es eigentlich? Das Spiel startet mit dem Aufwachen – ohne Klamotten, in einem völlig zerstörten Hotelzimmer. Nachdem wir uns berappelt haben, erfahren wir relativ schnell zwei Dinge: wir haben das Hotelzimmer verwüstet und wir sind eigentlich ein Cop, der einen Mordfall aufklären sollte. Und da wir bisher anscheinend eher negativ aufgefallen sind, bekommen wir einen Partner an die Seite gestellt: Kim Kitsuragi.

Nino jeden Montag morgen

Die Hauptstory des Spiels dreht sich nun um die Lösung des Mordfalles. Durch persönliche Probleme, inklusive starken Alkoholismus und dem Verlust unserer Marke und Waffe, gestaltet sich das aber als recht schwierig. Der Mord scheint von Anfang an politisch motiviert zur sein und hat die Stimmung in einer sowieso sehr instabilen Gesellschaft noch weiter angeheizt. Die Bevölkerung traut uns nicht, oder sich nicht mit uns zu sprechen. Jeder verfolgt eigene Ziele, und die wenigsten wollen den wahren Grund für den Mord wissen, wenn Sie ihn nicht instrumentalisieren können – perfekte Voraussetzungen also.

Wir legen also mit den Ermittlungen los. Auf Story an sich will ich gar nicht weiter eingehen – genau so, wie ich es im ersten Stream nicht getan habe. Denn eine Sache beherrscht das Spiel perfekt: es zieht einen in seinen Bann. Nicht nur in die Geschichte an sich, sondern wirklich in die Welt hinein. Mit jedem bisschen, dass man über die Vergangenheit, die politischen Umstände und die Weltanschauungen der Leute erfährt, will man mehr wissen. Ich habe bisher kaum ein Spiel gesehen, was das so unglaublich gut gemacht hat.

Die Bevölkerung traut der Polizei so wenig, dass die Leiche schon eine Woche da hängt

Für mich hat sich das unter anderem in den Nebenmissionen gezeigt. Es gibt ein paar, die man machen muss – es gibt aber sehr viele, in die man hineingezogen wird. Öfter mal habe ich die Welt erkundet, eine Tür gefunden, und schon war ich in einem neuen Handlungsstrang drin. Es war aber alles so gut und bündig mit der Hauptstory und der Welt drumherum verwoben, dass es mir oft gar nicht auffiel, bis wieder einmal ein Punkt in meiner Aufgabenliste auftauchte oder abgehakt wurde. Und es fühlte sich dann auch nicht nach einer beendeten Aufgabe an, sondern eher wie eine natürliche Abzweigung, wie sie im echten Leben auch passieren könnte.

Dadurch viel mir auch eine weitere Sache auf: wie riesig dieses Spiel ist. Nicht als Quadratmeterzahl bei der Karte, sondern mit der Story. Man stolpert von einem Rabbithole ins nächste, lässt sich aufgrund der grandiosen Erzählung aber auch gerne mitreißen. So verbringt man Stunden in ein und demselben Haus, nur um alle Geheimnisse zu finden.

Wir finden eine Würfelmacherin im Dachgeschoss einer Buchhandlung – wie sind wir hierher gekommen?

Es fällt mir schwer, es genauer zu beschreiben. Man war die ganze Zeit an der Lösung des Falles interessiert, und ist wie ein Cop herumgerannt, um Hinweise zu suchen – und genau das lies es sich so natürlich anfühlen. Manchmal ist man einer Spur nachgegangen und hat Antworten gefunden; manchmal war es etwas ganz anderes, das einen aber trotzdem mit mehr Wissen über die Welt belohnt hat.

Besonders immersiv wurde die ganze Erfahrung durch die Dialoge. Die mit den NPCs finde ich gar nicht so erwähnenswert – sie waren super gemacht, die Charaktere hatten alle sehr überzeugende Persönlichkeiten und Werte, nach denen sie konsequent (oder nach Charakter eben nicht so konsequent) gehandelt haben. Trotzdem haben mich die inneren Dialoge viel mehr überzeugt.

Zusätzlich zu normalen Gesprächen hat sich nämlich auch das Unterbewusstsein immer wieder gemeldet. Dies wurde in verschiedene Bereiche aufgeteilt, die – auch je nach Skill-Ausprägung – mal mehr, mal weniger sinnvolle Dinge beigetragen haben. Meist ging es um den Fall, manchmal aber auch um ganz andere Dinge – wie fühlen wir uns gerade, was denken wir über bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Religionen, welche politischen Ansichten haben wir eigentlich? Alles mit wählbaren Antworten und voll vertont – ich fand es grandios!

Die Umgebung bringt uns oft zum Nachdenken – unser Unterbewusstsein schaltet sich dann oft ein

Es gibt an dieser Stelle noch so vieles, was ich erwähnen könnte. Den Fähigkeitsbaum, den ich selbst beim Spielen nur oberflächlich angekratzt habe, sowie die Möglichkeit, bestimmte Ideen oder Ideologien zu verinnerlichen (letztere hat dazu geführt, dass wir am Ende des Spiels ein kommunistischer Faschist wurden – fragt nicht). Die diversen Elemente, die seltsam, interessant oder auch einfach nur lustig waren. Aber all dies würde jetzt zu weit führen – spielt es selbst. Selbst wenn ihr meinen Durchgang schon gesehen habt, eurer könnte ganz anders aussehen.

Der Vollständigkeit halber deshalb jetzt noch zum technischen: das Spiel kommt wie bereits erwähnt in einer isometrischen Ansicht daher. Der Grafikstil sieht sehr eigen aus – ein bisschen surreal, fast wie ein Ölgemälde. Man steuert alles mit der Maus, mit ein paar Tastenkombinationen als Shortcuts. Man interagiert mit den Objekten um sich herum, spricht mit den Leuten, es ist rein mechanisch ein klassisches Rollenspiel.

Fast alle Aktionen, die man machen kann, haben Auswirkungen auf später. Entweder direkt sichtbar durch Veränderungen in der Spielwelt, oder indirekt dadurch, dass wir damit bestimmte Charakterzüge von uns offenbaren. Letzteres führt dazu, dass die Leute uns unterschiedlich wahrnehmen. Sind sie unserer Meinung, helfen Sie uns. Haben wir etwas falsches gesagt, versperren wir uns eventuell einen Weg.

Der Gewerkschaftsboss hat seine eigenen Interessen – je nachdem, ob wir diese Teilen, bringt uns das Vor- oder Nachteile

Eine Besonderheit hierbei ist auch das Würfelsystem. Versuchen wir beispielsweise, jemanden von etwas zu überzeugen, kann das eine einmalige Chance sein – diese wird durch einen Würfelwurf entschieden. Je nachdem, wie hoch unser Schauspielskill dabei ist, werden die Wahrscheinlichkeiten aber zu unseren Gunsten verändert. Gleichermaßen funktioniert das mit anderen Fähigkeiten – bist du ein guter Mechaniker, kriegst du das Schloss wahrscheinlicher auf als anders. Diese Fähigkeiten können durch Kleidungsstücke oder Werkzeuge verbessert werden – ein Rollenspiel eben.

72% sind gut – aber gut genug?

Bei all der Begeisterung, die ich für dieses Spiel empfinde, gab es zwei Dinge, die ich leider nicht so gut gelungen fand. Das eine betrifft direkt die Würfel-Situationen. Diese waren manchmal nicht wiederholbar, das Ergebnis jedoch wichtig für die Story – ich hätte oft nicht gewusst, was ich sonst hätte tun sollen. Da die Chance auf ein gutes Ergebnis jedoch gering war, verfiel man dort schnell in folgendes Schema: schnellspeichern – würfeln – wenn nicht geklappt, laden und nochmal versuchen, bis es klappt. Das war so bestimmt nicht im Sinne des Erfinders, jedoch ab und zu die einzige Möglichkeit, weiterzukommen.

Das zweite war die Offenheit der Spielwelt. Das klingt erstmal komisch, allerdings kommt mit Offenheit immer ein Problem: die Orientierungslosigkeit. Es gab Situationen, wo ich absolut nicht wusste, was ich jetzt tun soll. Da es auch zeitabhängige Missionen gibt, die z.B. erst am folgenden In-Game-Tag weitergehen konnten, man aber auf der anderen Seite keine gute Möglichkeit hatte, Zeit verstreichen zu lassen, bin ich ein ums andere Mal ziellos herumgerannt. Oft habe ich dann doch noch eine gute Beschäftigung mit einer der vielen Nebenmissionen gefunden – optimal ist das meines Erachtens jedoch nicht gewesen.

Bei den Erkundungen der Spielwelt findet man viele interessante Gestalten
Manchmal muss man auch ein bisschen abschalten – nie jedoch ohne entsprechenden Kommentar von Kim

Was denke ich nun abschließend über dieses Spiel? Vielleicht ist es subtil durchgekommen: ich liebe es. Es ist eins der besten Spiele, die ich in diesem Jahr gespielt habe, und ich bin sehr dankbar über diese Empfehlung – es wäre ehrlicherweise sonst vollständig an mir vorbei gegangen. Ich empfehle es jedem, der eine detaillierte Story mag und mit teilweise sehr düsterem Humor und einer astreinen Dystopie klarkommt.

Was denkt ihr über dieses Spiel? Mochtet ihr es? Habt ihr es selber gespielt? Diskutiert gerne mit mir darüber auf Discord!