Der wundersame Westen

Das heutige Spiel war wieder einer dieser Zufallsfunde, die ich manchmal mache. Angepriesen auf der GamePass-Startseite erschien mir „Weird West“ fast wie ein kurzweiliger Indie-Titel, den man in ein, vielleicht zwei Streams durchspielt. Die Wertungen waren durchaus positiv, aber nicht überragend – einen Versuch schien es wert. Wie viel es am Ende wirklich wert, und wie wundersam diese ganze Erfahrung war, lest ihr hier.

Da mir weder Titel noch Studio etwas sagten (entwickelt von WolfEye Studios und herausgebracht von Devolver Digital), ging ich relativ unvoreingenommen an diesen Titel heran. Alles was ich der Vorschau entnehmen konnte war, dass es sich um ein Spiel im Wilden Westen handelt – aus der isometrischen Perspektive heraus steuert man einen Charakter und schleicht und kämpft sich durch die Gegend. Der „weirde“ Teil dabei sind die besonderen Gegner: Werwölfe, Hexen, Spinnenmonster – all die Klassiker und noch viel mehr war dabei.

Am Anfang sieht noch alles normal aus

Die Story fängt auch ganz harmlos an. Man schlüpft in die Rolle einer Farmerin, deren Kind getötet und Ehemann entführt wird – klassische Western-Geschichten eben. Wir graben also unsere treuen Revolver wieder aus (wir waren schon vorher Kopfgeldjägerin gewesen) und machen uns auf die Suche nach unserem Mann. Dabei erleben wir jedoch schon die ersten beiden Überraschungen: wir haben eine offene Spielwelt vor uns – und sie ist riesig!

Das war wohl der erste Moment in dem mir klar wurde, dass das Spiel doch ein bisschen größer ist, als gedacht. „Offen“ bezüglich der Spielwelt ist hier übrigens ein bisschen zu relativieren: man kann zu festen Punkten schnellreisen, allerdings überall anders Rast machen. Die festen Punkte sind klassische Städte, Banditenverstecke, aber auch Höhlen, Sümpfe und andere ungemütliche Orte. Die frei wählbaren Camps bestehen im Normalfall aus einem Zelt, einer Kochstelle und ein paar zur Umgebung passenden Tieren, die man zur Wiederherstellung von Gesundheit jagen und essen kann – nichts besonderes, aber bei längeren Wanderungen durchaus sinnvoll.

Jeder „Point of Interest“ ist ein Quadrat bestimmter Ausmaße – am Rand kann man dann Schnellreisen

Längere Wanderungen sind ein gutes Stichwort, denn die können schnell gefährlich werden. Die Schnellreisen passieren nämlich nicht augenblicklich, sondern benötigen eine gewisse Zeit, in der die Spielzeit aber sehr viel schneller abläuft. Somit kann es aber passieren, dass wenn man nachts durch einen Wald reist, man angegriffen wird – diese Zwischenereignisse passten selten in den eigenen Plan und waren manchmal regelrecht nervig, insgesamt passten sie jedoch sehr gut ins Konzept.

Das Konzept des Spiels war der nächste große Punkt, der mich sehr überraschte. Denn wir fanden unseren Ehemann, der ja unsere Hauptquest war, nach etwa einem fünftel des Spiels und der aufgedeckten Map – und somit war die Story auch vorbei. Doch bevor ich mich darüber wundern konnte, entfaltete sich der ganze Plan des Spiels vor uns – und der hat mich schon sehr überrascht.

Ich will nicht zu sehr auf die Story eingehen, allerdings sei so viel gesagt: man spielt insgesamt fünf Storylines durch, die am Ende auch irgendwie miteinander zu tun haben – wie verrate ich aber nicht. Insgesamt kann ich aber sagen, dass jede dieser Questlines ihren besonderen eigenen Charme hatte und einen jedes Mal vor neue Herausforderungen stellte und zum Umdenken bei der eigenen Spielweise zwang. Das fand ich sehr erfrischend und ich es war jedes Mal sehr spannend, wenn man sich an neue Eigenschaften und Fertigkeiten gewöhnen musste – ich fand diese Idee sehr gelungen und sehr gut umgesetzt.

Manchmal ist man ein Mensch, manchmal halt ein Schweinemann

Was dagegen immer gleich blieb, und das wie ich finde auch sehr gelungen, war dagegen das grundsätzliche Prinzip es Spiels. Ich würde es fast mit „Red Dead Redemption“ Vergleichen, obwohl der Fokus hier definitiv mehr auf dem Schleichen liegt. Dennoch ist es auch ein Open World Action Adventure mit Rollenspielelementen – man kann Waffen und Ausrüstung verkaufen und verbessern, Tiere jagen und neben den sehr interessanten Hauptquests auch Nebenmissionen annehmen – allen voran natürlich zum Wilden Westen passende Kopfgeldjagden.

Man bekommt zwar immer einen Charakter vorgesetzt, das heißt Anpassungen am eigentlichen Aussehen sind nicht möglich, aber Kleidung und im begrenzten Maße Accessoires lassen sich personalisieren. Die Waffen können nicht so detailliert verbessert und veredelt werden wie in RDR, aber dennoch – man sieht definitiv eine Ahnlichkeit.

Neben diesen ganzen Eigenschaften bietet das Spiel aber auch noch eine Besonderheit: Entscheidungen und Ehre. Ehre wird auch dadurch definiert, wie man sich halt so verhält – erschießt man viele Passanten sinkt sie tendenziell eher, erschießt man Wegelagerer und erledigt Kopfgeldaufträge, dann steigt sie. Sie wird auch durch spezielle Entscheidungspunkte der Hauptstory beeinflusst, und dass sehr stark. Helfe ich einer Partei, mag die andere mich eventuell mich nicht mehr und umgekehrt. Gleichzeitig beeinflusse ich damit auch den weiteren Verlauf der Geschichte – ich fand das sehr gut gemacht.

Erinnert ein bisschen an „Dead Eye“ aus RDR – wir können die Zeit verlangsamen

Auf die technischen Punkte möchte ich zum Schluss nur ganz kurz eingehen. Wir haben das Spiel auf meiner Series S Xbox gespielt und hatten keine Probleme – Punkt. Keine Bugs, keine Hänger, keine Framedrops. Die Steuerung funktionierte sehr gut und die Grafik war sehr ansprechend und passend zum Spiel. Das Sounddesign hat mir sehr gefallen, auch wenn ich mir ein bisschen mehr Sprachausgabe bei den Textstellen gewünscht hätte – ich musste viel vorlesen. Aber insgesamt lief es sehr stabil.

Mein Fazit lässt sich wohl sehr leicht herauslesen: mir hat das Spiel sehr gefallen! Ich war erstaunt darüber, wie umfangreich und auch tiefgründig das Spiel vor allem zum Ende hin wird – es ist keine philosophische Doktorarbeit, regt aber durchaus zum Denken an. Ich bin mit völlig falschen Erwartungen hineingegangen und wurde positiv überrascht, das kann mir gerne öfter passieren.

Die Atmosphäre war immer sehr passen, und es gab viel zu erkunden

Die Hauptstory hat mir sehr gefallen und die Mechanik mit den Entscheidungen und den Konsequenzen für viele nachfolgende Ereignisse waren überzeugend. Die Aufteilung in mehrere Handlungsstränge war sehr gut umgesetzt und hat mir gefallen. Einzig die Nebenmissionen haben mich nie wirklich begeistert – sie waren nicht schlecht, haben mich aber nie genug interessiert, als das ich meine Zeit dafür hergebe – das mag aber jeder anders sehen.

Falls ihr das Spiel noch nicht gespielt habt, empfehle ich es jedenfalls sehr! Wie fandet ihr es denn beim Zuschauen? War es interessant, hattet ihr es vielleicht selber schon gespielt? Diskutiert auf Discord gerne mit!